Vor 80 Jahren eskalierte die Blockhüttenaffäre

Auseinandersetzung zwischen der Hitlerjugend und dem katholischen Neu-Deutschland

Blockhüttenaffäre Foto: Stadtarchiv

Foto: Stadtarchiv

Von Johannes Franke

Zum 80. Mal jährt sich am 29. März 2015 der Jahrestag der so genannten Blockhütten-Affäre – einem Zusammenstoß der Hitlerjugend mit dem katholischen Jugendverband Neu-Deutschland. Mehrere Schüler und auch Lehrer des Georgianums mussten seinerzeit die Schule verlassen – darunter der Schulleiter Moritz Hartmann und der spätere Schulleiter Paul Keseling.

Bereits 1920 gab es am Georgianum in Lingen den katholischen Schülerbund „Neu-Deutschland“ (ND).  Diese Jugendgruppe hatte im Sommer 1932 aus eigenen Mitteln, mit Genehmigung und Hilfe des Bauern Lübbers in Rheitlage, eine  massive Blockhütte errichtet, um dort Gruppenstunden abzuhalten und Ferien zu verbringen. Den Machthabern der NSDAP war dieser gymnasiale katholische Schülerbund schon lange ein Dorn im Auge, und so sollte die Blockhütte im Sommer 1933 im Zuge der Gleichschaltung  der katholischen Verbände beschlagnahmt werden.

Um einer endgültigen Enteignung durch die örtliche Hitlerjugend (HJ) zuvorzukommen,  wurde diese am 29. 3. 1935 von zwölf Lingener NDlern abgebrochen, um sie nicht „ihren ideologischen Gegnern zu überlassen.“ Die Schüler Bernd Peters, Alfons Lögering und der vormalige Gruppenführer Schulte vollendeten weitgehend den Abbruch, fuhren die Schwellen mit dem Pferdewagen zur elterlichen Wohnung von Bernd Peters und hinterließen eine völlig unbrauchbare Blockhütte.

Bei den Eltern der beteiligten NDler fanden Hausdurchsuchungen statt. Aufgehetzte Lingener Bürger bewarfen in den folgenden Tagen die Wohnungen mit Steinen.

Noch am selben Abend fand eine Sondersitzung der NSDAP statt und am Georgianum fiel für einige Tage der Unterricht aus. Die Lehrerkonferenz tagte am 1. April unter Leitung des Direktors Dr. Hartmann, und alle am Abriss  beteiligten Schüler wurden verhört. Alle mitwirkenden Jungen wurden vorerst vom Unterricht freigestellt. Die Schüler Bernd Peters, Heinrich Niebuer und Ferdy Claaßen kamen nach stundenlangen Verhören am 4. April 1935 in „Schutzhaft“, die mit einer sechstägigen Unterbrechung bis zum 27. April andauerte. Auf der Wilhelmshöhe und im Saal Nave fanden am 3. April große „Treuekundgebungen zum Führer“ statt. Sogar der Regierungspräsident Eggers aus Osnabrück war dort anwesend. In den Reden bezeichnete man das Vorgehen der katholischen Schüler als „verbrecherisches Treiben“. In der gleichgeschalteten Presse konnten die Lingener von der widerrechtlichen Inbesitznahme nichts lesen, wohl aber von der ‚Zerstörungswut’ der katholischen Jugendbewegung.“

Die Schüler Heinrich Niebuer, Bernhard Merschel und Heinrich Walterbach wurden für ihre „Taten“ von der Schule verwiesen. Alle übrigen Mittäter erhielten eine „Androhung der Verweisung von der Anstalt“. Die Protokolle der Konferenzen zeigen, dass sich im Lehrerkollegium insbesondre Dr. Paul Keseling,  Dr. August Schulten sowie der evangelische  Studienrat Dr. Helms aus religiöser Überzeugung für die Schüler einsetzten und gegen die Zerschlagung der Lingener ND-Gruppe protestierten. Sie wurden strafversetzt. Dr. Paul Keseling, der katholische Direktor der Schule Dr. Moritz Hartmann sowie der evangelische Studienrat Professor Wilhelm Fueß mussten den Schuldienst quittieren.

Der NSDAP-Kreisleiter nutzte somit die Gelegenheit, missliebige Lehrer zu entfernen. Am 15. April 1935 erfolgte die Auflösung des ND-Gaues Wittekind mit allen Ortsgliederungen. Betroffen waren auch  Gruppen in Meppen und Papenburg.

Der Historiker Dr. Helmut Lensing resümiert:: „Die Lingener Blockhütten-Affäre war ein an und für sich verhältnismäßig unbedeutender Zusammenstoß zwischen dem Anspruch einer Jugendorganisation der Staatspartei, zur alleinigen Führung der deutschen Jugend berufen zu sein, um dem Selbstbehauptungswillen eines ideologisch konkurrierenden katholischen Verbandes. Seine Brisanz und herausragende Bedeutung im Verhältnis von Nationalsozialismus und Katholizismus im Emsland erhielt der Vorfall durch die Reaktionen des NSDAP-Kreisleiters.“

Quellen:

Klaus Kordon, Diktatur, wie war es, als…, was wäre, wenn…,  Ferdinand A. „Ein Korb Äpfel“, S. 47 f.

Helmut Lensing,  Zum Konflikt wischen Nationalsozialismus und Kirche im Emsland bis zur Lingener Blockhütten-Affäre 1935  S. 125 ff. in: Emsländische Geschichte Band 3, Studiengesellschaft für Emsländische Regionalgeschichte

Maria Anna Zumholz, Anpassung – Verweigerung – Widerstand? Katholisches Milieu im Emsland 1933 – 1945 S. 22 ff. in: Emsländische Geschichte Band 13, Studiengesellschaft für Emsländische Regionalgeschichte

Schülerbund „Neu-Deutschland“

1919 wurde auf Initiative des Jesuitenpaters Ludwig Esch durch den Kölner Erzbischof Felix von Hartmann der Schülerbund „Neu-Deutschland“ gegründet. Die im Ruf stehende katholische „Eliteorganisation“  wandte sich hauptsächlich an die Schüler höherer Schulen und zählte 1920 bereits 20 000 Mitglieder. Sie beschäftigten sich häufig sehr intensiv mit den politischen, wirtschaftlichen und religiösen Vorstellungen des Katholizismus und seinen weltanschaulichen Gegnern.

Nach der Machtergreifung 1933 kam es in den einzelnen Gruppen und Regionen zu offenen Feindseligkeiten mit der Hitlerjugend (HJ) und der staatlichen Administration.  Manche ND’er und Gruppen arrangierten sich mit der HJ, andere zogen sich zurück oder versuchten in der Illegalität ihr Gruppenleben weiterzuführen. Einige, auch einzelne ND-Gruppen, leisteten aktiven Widerstand. So beispielsweise Willi Graf in der „Weißen Rose“ oder Alfred Delp im „Kreisauer Kreis“. Beide wurden hingerichtet. Nach 1945 wurde der Bund „Neu-Deutschland“ (ND) wieder ins Leben gerufen, deren Mitglieder sich auch in Lingen regelmäßig treffen.

Paul Herwig Zacharias Keseling
* 30.11.1892 in Duderstadt
+ 30.09.1954 in Lingen

Keseling

Weil er 1935 gegen die Zerschlagung der Lingener Gruppe des „Bundes Neudeutschland“ durch die Nationalsozialisten protestierte, wurde er nach Norden in Ostfriesland strafversetzt und kurze Zeit später vom Dienst suspendiert. Um 1940 lebte er als Studienrat a. D. in Münster. Vom 18. Oktober 1945 bis zu seinem Tod 1954 war er Schulleiter des Gymnasiums Georgianum in Lingen.

Dr. Moritz Hartmann

Dr. Hartmann

Direktor des Georgianums, Dr. Moritz Hartmann, wurde ebenfalls nach der Blockhütten-Affäre vom Dienst suspendiert.

Kollegium des Georgianums 1925

Dr. Paul Keseling und Professor Wilhelm Fueß wurden nach der Blockhüttenaffäre vom Dienst suspendiert. Der Geistliche Gerhard Schwenne, Studienrat am Georgianum, wurde durch ein NSDAP-Flugblatt in der Bevölkerung diskreditiert und angeklagt. Die „Schwenne-Straße“ im Bögen erinnert an ihn.