Etwas Unmenschliches kann nicht vernünftig sein – Podiumsdiskussion in der Mensa

„80 Jahre danach – mit Geschichte für Demokratie“: Unter diesem Motto fand an unserer Schule eine Podiumsdiskussion zur Erinnerungskultur an die Schrecken des Nationalsozialismus statt. Warum es auch heute noch – oder gerade heute – wichtig ist, sich mit dieser Zeit auseinanderzusetzen, machten Herr Hardt (Direktor des Amtsgerichts Lingen), Herr Dr. Weitkamp (Leiter der Gedenkstätte Esterwegen), Herr Prof. Dr. Rass (Universität Osnabrück) und Herr Schnittker (Leiter der Ems-Vechte-Welle) eindrucksvoll deutlich. Sie beantworteten dabei auf Fragen von Schülern aus dem elften und zwölften Jahrgang, die von engagierten Moderatoren gestellt wurden

Schulleiter Lucas Sieberg begrüßte die Gäste und die Schüler der Jahrgänge 11 und 12.

In Zeiten, in denen rechte Denkweisen wieder vermehrt Auftrieb erhalten, ist es entscheidend, sich bewusst zu machen, wie grausam das NS-Regime tatsächlich war. Doch der Zweite Weltkrieg liegt inzwischen 80 Jahre zurück – die meisten Zeitzeugen sind verstorben. Wie also kann Erinnerung heute noch lebendig bleiben?

Brachten Ihre Erfahrung und Wissen ein in eine interessante, anregende und informative Veranstaltung (v.l.): Markus Hardt, Sebastian Weitkamp, Christoph Rass und Marko Schnitker.

Herr Rass entgegnete darauf: „Niemand würde fragen: Wo sind denn die Zeitzeugen aus dem Mittelalter?“ Dass Zeitzeugen sterben, sei zwar tragisch, aber aus historischer Sicht ganz normal. Umso wichtiger sei es, betonte Herr Weitkamp, dass wir als Gesellschaft ihre Erlebnisse bewahren und ihre Geschichten weitertragen. Es liege nun an uns, sich immer wieder mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen.

In diesem Zusammenhang mahnte Herr Weitkamp, dass man noch kein Geschichtsexperte sei, nur weil man sich fünf TikToks angeschaut hat. Zwar böten soziale Medien enormes Potenzial – sie könnten Interesse wecken und den Zugang zu komplexen Themen erleichtern. Doch nach Herrn Rass sollten sie immer nur der Einstieg sein, nicht das Ende der Auseinandersetzung. Im besten Fall würden sie zu einer vertieften Beschäftigung führen – etwa zu Blogs, Büchern oder dem Besuch von Gedenkstätten.

Die Bedeutung solcher Gedenkorte wurde besonders vom Leiter der Gedenkstätte Esterwegen, Herrn Weitkamp, hervorgehoben. Er berichtete von einem bewegenden Besuch eines britischen Paares, das erst neulich dort getrauert habe – der Großvater sei hier als sog. Nacht-und-Nebel-Gefangener gestorben. Gedenkstätten seien nicht nur historische Orte – für Angehörige seien sie oft die letzten greifbaren Spuren ihrer Familiengeschichte.

Die Schüler des Redaktionsteams führten durch Sendung wie Merle und Jonathan (vorne) oder stellten stellvertretend für die beiden Jahrgänge die Fragen wie Anna-Maria und Selma.

Nach Kriegsende wurde die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des NS-Regimes lange Zeit verdrängt. Die Frage nach der Schuld stieß oft auf Widerstand. Manche wollten lieber über die vermeintlich „guten Seiten“ der NS-Zeit sprechen. Doch wissenschaftlich betrachtet habe es diese nie gegeben – und wenn doch, betonte Herr Schnittker, dann seien sie erkauft worden „mit massivem Unrecht, mit Millionen toter Menschen“.

Gerade deshalb sei es wichtig, heutige rechte Parolen oder scheinbar harmlose Inhalte kritisch zu hinterfragen. Wir müssen immer wachsam sein, warnte Herr Schnittker. Herr Rass wies darauf hin, dass ein Verbot der AfD die Gesellschaft jedoch nicht besser machen würde – es nähme einer großen Gruppe allenfalls temporär ein Sprachrohr. Viel wichtiger sei die Frage: Wie kann ich selbst zu einer weniger rassistischen Gesellschaft beitragen?

Die Antwort darauf liege nicht im Abwarten, mahnte Herr Schnittker – weder auf politische Maßnahmen noch auf gesellschaftliche Entwicklungen. Jeder Einzelne sei gefordert, selbst aktiv zu werden. Es gebe zahlreiche Angebote, um sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen, so Herr Rass – und alle seien eingeladen, diese zu nutzen.

Die letzte Fragerunde leitete die Moderation mit einem Zitat der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer ein: „Schaut nicht auf das, was euch trennt. Schaut auf das, was euch verbindet. Seid Menschen. Seid vernünftig.“ Daraus entwickelte sich die Frage: Wie kann es uns gelingen, vernünftig zu sein, so wie es Frau Friedländer fordert? Jeder der Anwesenden gab darauf eine eigene Definition – und doch verband sie alle ein Gedanke: Etwas Unmenschliches kann nicht vernünftig sein. Entscheidend sei jedoch nicht nur, das zu erkennen, sondern auch danach zu handeln – menschlich zu handeln.

Denn selbst, wenn wir keine Schuld an den Verbrechen der Vergangenheit tragen: Wir tragen die Verantwortung für das, was in der Zukunft geschieht.

Text: Len Sarrazin (Jahrgang 13), Fotos: Stefan Kemmer.

Die Fragen aus dem 11. und 12. Jahrgang wurden vom Redaktionsteam ausgewertet, überarbeitet und zusammengestellt, dazu gehörten:

Melina Bimm, Antonia Krieger, Anna Lammers, Jakob Neubert, Emily Schenk (alle Jahrgang 11) sowie

Merle Altmeppen, Jana Dillmann, Selma Holle, Bente Koops, Jakob Sturm, Jonathan Teupen, Anna-Maria Vehr (alle aus dem 12. Jahrgang).

Unter dem Titel „80 JAHRE DANACH – MIT GESCHICHTE FÜR DEMOKRATIE”: PODIUMSDISKUSSION AM GEORGIANUM veröffentlichte der Lehrstuhl für Neuste Geschichte und Historische Migrationsforschung (NGHM) zur gleichen Podiumsdiskussion ein positives Resümee unter folgendem Blog-Beitrag: https://nghm.hypotheses.org/35707